Leserbrief zum Lichtenfelser Experiment

Vorbemerkung

In dem Experiment werden 4 cm starke Proben aus verschiedenen Materialien 10 min mit Rotlicht bestrahlt und die Temperaturen auf Vorder- und Rückseite während und nach der Bestrahlung gemessen. In dem Artikel "X für ein U?" sind diese Kurven als Abb. 2 und 3 bezeichnet (Die Kurven sind eine Kopie aus einem Internetartikel in DIMaGB).

Temperatur vorn

Abb. 2 Vorderseite

Temperatur hinten

Abb. 3 Rückseite

Die weiteren Versuchsbedingungen (z.B. Unterlage) wurden mehrfach modifiziert. Die Versuche dürften reproduzierbar sein, da aber z.B. die Reflexionsfaktoren, Wärmeströme und die Eigenschaften der Unterlage nicht angegeben werden, lassen sich zu dem Experiment hauptsächlich nur qualitative und nur wenige quantitative Aussagen machen.

Angaben

Leserbrief zu: X für ein U? von Prof. C. Meier (B+B, Bauen im Bestand 25(2002), Nr. 6, S. 73 - 78)
erschienen in B+B, Bauen im Bestand 25(2002), Nr. 8, S. 8 - 10

Forum - Meinungen
Zu Ausgabe 6/2002
In der Diskussion: Das Aufbringen von WDV-Systemen - der nachfolgende Pro-Leserbrief argumentiert zu einem Contra-Beitrag vom September

Hier hat der Leser das Wort für seine persönliche Meinung. Die Redaktion behält sich lediglich Kürzungen aus Platzgründen vor.

Leserbrief

Wärmedämmung

X für ein U - oder:Rauch und Feuer? Wenn der Fachmann so einen Artikel liest, steht er immer vor der Frage: Ist so ein Unsinn eine Reaktion wert? Die Umfrage im Kollegenkreis ergibt viele Meinungen "Nein, ein Leser könnte denken, wo Rauch ist, ist auch Feuer - also keine Plattform bieten"; "ja, sonst denken die Leser der Autor hätte Recht, deshalb kneifen die Fachleute"; "so einen Unsinn sollte ein Fachblatt gar nicht bringen" und "Bringen, sonst werden die Fachleute mit dem Unsinn nur bei verunsicherten Kunden konfrontiert".

Die Ergebnisse des "Lichtenfelser Experiments" lösten keine Überraschung aus, höchstens Entsetzen, dass jemand, bei dem man Kenntnisse vermuten sollte, mit so abstrusen Erklärungen kommt. Das fängt schon bei den Begriffen an. Wärme kann verschiedene Aspekte haben: als Qualität kann man die Temperatur bezeichnen, dann gehört dazu der Begriff Quantität und das ist die Wärmemenge. Strömen kann nur Quantität - aber nicht Qualität. Also gibt es Wärmeströme, aber keine Temperaturströme, bestenfalls eine Isothermenbewegung. Wärme kann sich z.B. im Bewegungszustand der Moleküle ausdrücken, muß es aber nicht (Gegenbeispiel Strahlungswärme).

An einer Stelle behauptet der Autor die Wärmeleitfähigkeit l sei nur stationär gültig und beweist kurz darauf die Absurdität seiner Behauptung, indem er l in der Formel für die Temperaturleitfähigkeit benutzt - eine Temperaturveränderung ist aber ein instationärer Vorgang. Dass l meistens stationär gemessen wird, widerspricht nicht der allgemeinen Gültigkeit.

Analog sinnlos wäre folgende Behauptung: eine Körpermasse ist nur gültig, wenn sich der Körper stationär auf einer Waage befindet. Genau so abstrus ist "... kurvige Isothermen, zeigt instationäre Verhältnisse an". Isothermen verbinden Orte gleicher Temperatur.

Bei einer planen Wand und gleichmäßiger Behandlung sind die Isothermen gerade, bei Erwärmung einer Seite wandert die Isotherme einer bestimmten Temperatur gerade durch die Wand, dabei kann bei entsprechenden Versuchsbedingungen der Temperaturgradient konstant bleiben. Ist dagegen das Bauteil gekrümmt (z.b. eine Kante) so sind auch bei stationären Verhältnissen die Isothermen gekrümmt.

Wahrscheinlich meint der Autor eine gekrümmte Temperaturkurve über der Wanddicke - aber auch das trifft nur zu beim Sonderfall homogene Wand. Eine inhomogene Wand kann eine lineare Temperaturkurve haben und doch instationär beansprucht werden.

Nun zum "Lichtenfelser Experiment". Die Experimentatoren erklären Ihr eigenes Experiment falsch, wie im Folgenden gezeigt wird. Schon zum Urheber ist gibt es laufend andere Angaben. Erst war man selbst Erfinder, dann sollte Prof. Szabo das Experiment erfunden haben. Als der richtig stellt, das es um etwas ganz anderes ging, war man auf einmal wieder selbst Erfinder.

Dann wird der Aufbau laufend geändert: erst liegen die Proben auf dem Holztisch, dann kommt PS darunter (komisch, wo es doch angeblich nicht dämmt). Es werden keine Wärmeströme, sondern immer nur Temperaturen gemessen, aber laufend von Wärmeströmen geredet. Selbst eine Modifizierung Ihres Versuchsaufbaus (wiederholt vorgeschlagen) wurde nie gemacht.

Dazu sollte auf die PS-Unterlage eine dünne PS-Platte gelegt werden und die Temperatur unter dieser zusätzlichen Auflage zusätzlich gemessen werden. Entsprechend der Gleichung

Formel
wären dann wenigstens die Wärmeströme etwa bekannt, da von dieser Platte die Dicke und l bekannt sind. Natürlich kann man auch die Wärmeströme aus den Temperaturen und Materialien berechnen, aber damit sind die Experimentatoren leider überfordert.

Auch die Zielsetzung wurde laufend verändert, in den ersten Veröffentlichungen sollte das Experiment angeblich beweisen, das Dämmung nicht dämmt, später sollte es beweisen, das Zusatzdämmung die Temperaturstabilität verschlechtert.

Nun zur Erklärung der beobachteten Meßwerte: Dazu betrachten wir die 1. Minute der Aufheizung (Abb. 2 des Artikels). In dieser kurzen Zeit erwärmen sich alle Stoffe (nicht nur die Ziegel) so wenig, das die Abstrahlung noch keine wesentliche Rolle spielt. Wie sollte sie auch: je nach Farbe der Oberfläche wird ein gewisser Teil der Einstrahlung reflektiert (PS weiß - viel, Mineralwolle dunkel - wenig usw.). Wo kann denn der Rest anders bleiben, als in den Stoff einzudringen? Die Temperaturerhöhung ist ja noch so gering, dass der prinzipiell natürlich sofort eintretende Wärmeverlust durch die Temperaturerhöhung noch zu vernachlässigen ist.

Nach der kurzen Zeit unterscheiden sich Dämmstoff und Ziegel aber in der Temperatur - trotz gleicher gespeicherter Wärmemenge. Die gespeicherte Wärmemenge ist immer Wärmekapazität mal Temperatur. Da der Ziegel die aufgenommene Wärmemenge schon dicht unter der Oberfläche wegen seiner hohen spezifischen Wärmekapazität speichert, ist die Temperaturerhöhung gering.

Der Dämmstoff hat eine kleine spezifische Wärmekapazität und deshalb erwärmt sich die Oberfläche sehr schnell. Dadurch entsteht ein hohes Temperaturgefälle, deshalb strömt die Wärme in die Tiefe (Abb. 3) - aber beide Stoffe haben die gleiche Wärmemenge gespeichert. Im Ziegel ist die Wärme nahe der Oberfläche lokalisiert, im Dämmstoff fast über die ganze Tiefe verteilt. Das zeigt sich besonders deutlich in der Abkühlphase (siehe nachfolgend). Und genau das wird beobachtet (Abb. 2).

Nach dem Abschalten der Strahlungsquelle beginnt die Abkühlung. Wegen der hohen Temperatur beginnt beim Dämmstoff die Abkühlung schneller - aber das gilt nur für den oberflächennahen Bereich. Der weitere Wärmeverlust muß ja aus der Tiefe gedeckt werden. Anders beim Ziegel. Da die Temperatur geringer ist, ist der Wärmeverlust von Anfang an geringer, aber da die Wärme unmittelbar unter der Oberfläche gespeichert ist, ist die Nachlieferung der verlorenen Wärme kein Problem, so dass die Temperatur länger hoch bleibt und damit länger eine mittlerer Wert der Wärme abgestrahlt wird (Abb. 2).

Also bleibt als Fazit: der Ziegel verliert über eine lange Zeit mäßig viel Wärme, der Dämmstoff anfangs in kurzer Zeit viel und anschließend über lange Zeit wenig Wärme. Und wenn man den Gesamtwärmeverlust nach genügend langer Zeit vergleicht - ja dann sind beide fast gleich. Wenn auf der anderen Seite der Wand keine Energie abgenommen würde, müssen beide Gesamtwärmeverluste absolut gleich sein, sonst wäre ja der Energieerhaltungssatz verletzt - und diesem widerspricht zumindest Prof. Meier nicht.

Wie ist es nun aber mit der Wärme, die auf die andere Wandseite durchgereicht wird? Bei der Dämmung kein Problem, denn da wird ja die Wärme gleich in die Tiefe verteilt. Beim Ziegel ist die Wärme nahe der Oberfläche auf der Einstrahlungsseite gespeichert mit einer geringen Temperaturerhöhung. Wegen des geringen Temperaturgefälles wird die Wärme also nur sehr langsam zur anderen Wandseite kommen, aber der Wärmeverlust auf der Einstrahlungsseite ist hoch, da ja die gespeicherte Wärme nahe dieser Wandoberfläche lokalisiert ist.

Nun ist wieder die Frage, welcher der beschriebenen Vorgänge bringt insgesamt mehr Wärme auf die Innenseite der Wand? Das fast sofortige kurze kräftige Durchschlagen der Wärme (Dämmung) oder das lang andauernde wenige Durchschlagen (Ziegel)? Bestimmt man das, ergibt sich - nur für den Autor des Artikels eine Überraschung - für beide die gleiche Größe, wenn der U-Wert gleich ist!

Und das bleibt auch so, wenn die Einstrahlung nicht nur kurz ist, sondern lange dauert - bloß die Erklärung ist weniger anschaulich und man muß voll bei der Mathematik bleiben oder exakt die Wärme und nicht die Temperatur messen. Für den Grenzfall der stationären Verhältnisse ist die Erklärung wieder einfach. Die einfallende Strahlung wird von der Wand an der Stelle absorbiert, an der diese Strahlung auftrifft (abgesehen vom reflektierten Anteil). Da stationäre Verhältnisse vorausgesetzt werden (und für stationäre Verhältnisse erkennt auch der Autor die Gültigkeit des U-Wertes an) ist der Wärmefluß durch die Wand proportional dem U-Wert.

Wegen der Oberflächentemperatur wird aber ein großer Teil der absorbierten Wärmemenge nicht durch die Wand gereicht, sondern sofort an die Umgebung abgegeben. Dafür ist der äußere Wärmeübergangsleitwert aa zuständig. Je nach Wetterverhältnissen (speziell Wind) liegt aa in dem Wertbereich 8 ... 100 W/(m²K) [1/ aa = 0,01 ... 0,13 m²K/W]. Damit ist das Verhältnis absorbierte Strahlung zur durchgereichten Strahlung U/ aa nur vom U-Wert abhängig und unabhängig vom Material der Wand.

Da der U-Wert der Wand oft um 0,2 W/(m²K) liegt, ist der durchgereichte Anteil der absorbierten Solarstrahlung sehr gering: 0,008 ... 0,026. Und die genaue Analyse - entsprechend der obigen Beschreibung - liefert das gleiche Verhältnis auch bei nichtstationärer Einstrahlung - z.B. bei nur 1 min. Einstrahlung. Normung siehe DIN V 4108-6: 2000-11, Punkt 6.4.5 solare Wärmegewinne über opake Bauteile.

Weiteres siehe in Literatur (Ebel, J.: Der U-Wert: nur stationär oder auch instationär? Bauzeitung 56 (2002), H. 3, S. 56 - 60) oder Internet (z.B. auf der Homepage).

Dipl.-Phys. Jochen Ebel, Borkheide

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