Debatte zur Vollbeschäftigung - pro und kontra

(ND 18.07.03) Vollbeschäftigung ist möglich
Zur Debatte um Arbeitszeitverkürzung:

Nimmt man die Ergebnisse der Auseinandersetzung der ostdeutschen Metaller für eine Arbeitszeitverkürzung zum Maßstab, scheint es gegenwärtig für diese Strategie keine gesellschaftlichen Mehrheiten zu geben, umso mehr Frau Merkel, Herr Clement und die Arbeitgeberverbände unisono sogar das Gegenteil fordern. Als Begründung wird angeführt, dass die hohen Lohnnebenkosten einen Wettbewerbsnachteil darstellen, der nur mit langen Arbeitszeiten aufgefangen werden kann. Ganz abgesehen davon, dass nicht die Lohnnebenkosten die entscheidende Kategorie sind, sondern die Lohnstückkosten die Effizienz der Wertschöpfung charakterisieren und sich die Bundesrepublik Deutschland hier im positiven Sinne in der Weltspitze tummelt, lässt sich diese Behauptung auch im Vergleich der volkswirtschaftlichen Daten der OECD-Statistiken nicht unter mauern.

Wenn man als Ausgangspunkt den Fakt anerkennt, dass sich objektiv durch fortschreitende Automatisierung und Einsatz neuer technologischer Verfahren der Anteil der Arbeitskraft am Produktionsprozess minimiert, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man akzeptiert, dass immer weniger Menschen an der Erwerbstätigkeit teilhaben, oder man teilt die vorhandene Arbeit auf mehr Menschen auf. Wer auf klassisches Wachstum bzw. auf die Transformation zur Dienstleistungsgesellschaft setzt, betrachtet die Problemlage aus konjunktureller und nicht aus struktureller Sicht.

Die Europäische Union hat sich auf ihren Gipfeln in Lissabon und Göteborg wichtige Ziele gesetzt. Sie will die EU zur wirtschaftlich dynamischsten Region der Welt machen, Vollbeschäftigung erreichen und dies unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit, wobei darunter eine gleichmäßige ökonomische, ökologische und soziale Entwicklung verstanden wird.

Eine nachhaltige Umstrukturierung der Arbeit umfasst natürlich nicht nur die Senkung der Erwerbsarbeitszeit, sondern auch die Anerkennung gesellschaftlich sinnvoller, bisher aber nicht bezahlter Tätigkeiten als Erwerbsarbeit, die aus dem Steueraufkommen zu finanzieren ist, die Transformation von Eigenarbeit in entlohnte Arbeit, den Abbau von Überstunden u.ä. Im weiteren soll aber nur der Teilbereich Arbeitszeitverkürzung betrachtet werden. Vor über hundert Jahren betrug die durchschnittliche Arbeitszeit ca. 3000 Stunden pro Jahr. Bis heute hat sich dieser Wert etwa halbiert. Die Arbeitsproduktivität stieg hingegen um ein Mehrfaches, ebenso das Bruttosozialprodukt (BSP) pro Kopf. Aus der Sicht unserer Urgroßeltern arbeiten wir demzufolge heute in Teilzeit mit vielfachem Lohnausgleich, wenn man vereinfachend die Steigerung des BSP pro Kopf als groben Maßstab der Lohnsteigerung ansetzt.

Die Frage, die es zu beantworten gilt, heißt: Kann man ohne negative Auswirkungen auf die Volks- und Betriebswirtschaft die Arbeitszeit so verkürzen, dass die Arbeitslosigkeit gegen Null tendiert und ist dies im Extremfall ohne Nettolohneinbußen der Beschäftigten möglich?

Wenn die heute Arbeitslosen eingestellt würden, wächst die Nettolohnsumme. Gleichzeitig steigt jedoch die Nachfrage um einen bestimmten Wert, weil die bisherigen Arbeitslosen statt ca. 60 Prozent des Nettolohnes jetzt über 100 Prozent verfügen. Mehr Arbeitnehmer erhöhen natürlich die Produktion oder die zu erbringenden Dienstleistungen. Bliebe die Arbeitszeit konstant, überstiege die Mehrproduktion die Nachfrage, weil im günstigstem Falle die zusätzliche Kaufkraft die Differenz zwischen Arbeitslosengeld und vollem Nettolohn beträgt, jede neue Arbeitskraft jedoch 100 Prozent Produktion erbringt. Die gesamte Arbeitszeit ist demzufolge so zu verkürzen, dass der Faktor des Produktivitätszuwachses dem Faktor des Zuwachses der Nettolohnsumme entspricht.

Der Bruttolohn wird proportional der verkürzten Arbeitszeit reduziert. Die gesamte Bruttolohnsumme steigt natürlich, da mehr Menschen beschäftigt sind.

Nach den Berechnungen von J. Ebel und B. Kühn in »Ein Modell zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit durch Verkürzung der Arbeitszeit« wird nachgewiesen, dass der Anstiegsfaktor der Bruttolohnsumme gleich dem Anstiegsfaktor der Kaufkraft ist, der absolute Wert des Zuwachses des Bruttolohns allerdings die Zunahme der Kaufkraft der Arbeitnehmer übersteigt, weil ein Teil davon als Steuern abzuführen ist.

Fazit: Die Steuereinnahmen wachsen, die Sozialbeiträge verringern sich, die Unternehmen finden Absatz für ihre gesteigerte Produktion, weil die Nachfrage sowohl durch den privaten Mehrkonsum als auch gestiegener Investitionsmöglicbkeit des Staates angekurbelt wurde. Damit ist die eingangs gestellte Frage eindeutig mit »Ja« beantwortet.

Natürlich sind betriebliche Besonderheiten zu berücksichtigen, da eine Gesamtrechnung keine Gültigkeit für jeden Einzelfall haben muss. Ob die Arbeitszeitverkürzung als tägliche, wöchentliche, jährliche, durch mehr Urlaub, Freistellungen oder Reduktion der Lebensarbeitszeit ausgeformt wird, sollte man keinem Dogma unterwerfen, ebenso wenig die Frage, ob voller Lohnausgleich für alle Einkommensgruppen zwingend notwendig ist.

Helmut Markov
PDS, MdEP

(ND 24.07.03) Vollbeschäftigung ist eine Illusion
Zu »Vollbeschäftigung ist möglich« (ND vom 18.7.):

Trotz aller gut gemeinten Rechnerei, trotz schöpferischer Weiterentwicklung von Aspekten einer bereits von Marx vorgenommenen Analyse des Produktions-, Reproduktions- und Verwertungsprozesses des Kapitals und trotz löblicher Aufnahme des Zieles in den Verfassungsentwurf für Europa: Es bleibt die m.E. unumstößliche Tatsache, dass Vollbeschäftigung unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen nicht möglich ist. Es wird praktisch nicht funktionieren!

Was funktionieren kann und unbedingt auch funktionieren muss, ist eine Reduzierung der Arbeitslosigkeit, u.a. auch durch Verkürzung der Arbeitszeit. Der Autor verweist ja in diesem Zusammenhang auch auf Berechnungen von J. Ebel und B. Kühn.

Die Frage der Zielstellung Vollbeschäftigung hat aber im Beitrag von J. Markow noch einen sprichwörtlichen Pferdefuß. Und zwar, was unter Vollbeschäftigung zu verstehen ist. Mit Tendenz der »Arbeitslosigkeit gegen Null« ist es m.E. nicht getan. Denn dieses Ziel ist ausleg- bzw. interpretierbar.

Ich erinnere mich an diesem Zusammenhang gerade wieder an eine von mir gestellte Frage auf einem Symposium in der »Zukunftswerkstatt für Bildung und Arbeit« im Jahre 1991. Eingeladen war Dr. Horst Wünsche, ein enger Mitarbeiter Ludwig Erhards und maßgeblich an der Ausarbeitung der Leitlinien bzw. Prinzipien der »Sozialen Marktwirtschaft« beteiligt. Meine Frage war : »Bei wie viel Prozent Arbeitslosigkeit kann man von Vollbeschäftigung sprechen?« Die Antwort lautete: »Vollbeschäftigung ist Vollbeschäftigung, also keinerlei Arbeitslosigkeit.« Und das ist und bleibt unter den gegenwärtigen Bedingungen - und erst recht durch die fortschreitende Globalisierung - eine Illusion.

Würde es doch eines Tages Realität, was ich hartnäckig bezweifle, hätten wir dabei noch einen tollen Nebeneffekt. Dann brauchten die Bundesanstalt für Arbeit und die zahllosen Arbeitsämter gar nicht mehr umgebaut oder neu strukturiert zu werden. Sie wären schlicht und einfach überflüssig, würden aufgelöst. Und das Ergebnis:

Schon hätten wir wieder tausende Arkeitslose.

Dieter Lämpe
13125 Berlin

Sind es nicht staatlich finanzierte Professoren an staatlichen Universitäten, die braven BWL-Studenten beibringen wie Wirtschaft richtig funktioniert? Mit dem geringsten Aufwand, so wird eingetrichtert; solle der größte Ertrag erzielt werden. Der Unternehmenserfolg werde ausschließlich am Gewinn und nicht an der Zahl der bereitgestellten Arbeitsplätze gemessen. Diese Theorie stößt auf keinen Widerstand, sagt doch der gesunde Menschenverstand genau das Gleiche.

Kein Unternehmer auf der Welt hat den vordringlichsten Wunsch »Arbeitsplätze zu schaffen«. Er will mit möglichst wenig Personal- und Materialkosten (hat er ja schließlich auf staatlichen Schulen so gelernt), den größten Gewinn erzielen anstatt Pleite zu gehen.

Wenn im Gegensatz dazu staatlich alimentierte und umsatzunabhängig tätige Politiker aller Couleur stets »Arbeitsplätze fordern«, so wird klar, dass diese Herrn in o.g. zitierten Vorlesungen gefehlt haben müssen oder die Planwirtschaft wieder herbeisehnen, Lenin »come«?

Sehr leicht fiele es, zwei Millionen Kleinunternehmen mit richtiger Wirtschafts- u. Steuerpolitik zu motivieren. Stellten diese nur je zwei Arbeitslose ein, wären 4 000 000 Menschen wieder untergekommen. Solange profitgierige Kleinanleger und Fondsmanager täglich besorgt auf die Börsenfieberkurven starren, so werden von diesen schlicht purer Gewinn, Tantiemen und Wertsteigerungen erwartet. Die bloße Mehrung kostenverursachender Arbeitsplätze schlägt sich als Positivum in Aktienwerten nicht nieder, ganz im Gegenteil.

Wer unwirtschaftliche Arbeitsplätze um jeden Preis schaffen will, wie jene in der öffentlichen Verwaltung, muss eine andere Republik wollen. Die betriebswirtschaftliche Langzeit-Studie »DDR« hatten wir im eigenen Lande. Vielleicht geht der Trend wieder in diese Richtung?

Ob die angebliche »Modernisierung« der Bundesanstalt für Arbeit einen Fortschritt bewirkt, darf ernsthaft bezweifelt werden. Wilhelminische Beamtenmentalität behindert selbst zukunftsweisende rot-grüne Gesetze, wie jenes zur privaten Arbeitsvermittlung. Hunderte unserer Mitglieder können derzeit freie Arbeitsstellen nicht mit Personal besetzen, weil Arbeitsamtssachbearbeiter die agile »private Konkurrenz« sabotieren und Arbeitslose nicht an die privaten Vermittler weiterreichen.

Modernisierung eines trägen Staatsapparates muss in den Köpfen beginnen, eine neue bunte Internetseite des Arbeitsamtes täuscht Reformen nach Außen nur vor.

Meinrad Müller, privater Arbeitsvermittler
82284 Grafrath

(ND 31.07.03) Auch im Kapitalismus ginge es
Zur Debatte um Vollbeschäftigung (ND vom 18.7. und 24.7.):

Bei der Frage nach Vollbeschäftigung hat die Frage "Was ist Vollbeschäftigung?" einen gewissen Stellenwert. Wir (B. Kühn und ich) sind natürlich nicht der Meinung, dass es eine absolute Vollbeschäftigung geben kann (es gibt keinen Nichtbeschäftigten). Die hat es auch in der DDR nicht gegeben: Z.B. sind manchmal auch in der DDR Arbeitsunwillige entlassen worden - und die hatten auch Schwierigkeiten, woanders eingestellt zu werden. Außerdem ist der Umfang des Arbeitsmarktes flexibel - bei entsprechenden Löhnen werden auch Nichtberufstätige (die z.B. eigentlich zu Hause bleiben wollten) um Arbeit nachsuchen.

Aber das die Arbeitslosigkeit bei 10 Prozent und mehr liegen muss, ist mit dem Kapitalismus nicht untrennbar verbunden, wie die Vergangenheit zeigt. Es gab sehr wohl Zeiten mit Arbeitslosenraten unter einem Prozent. Aber die Tatsache , daß es keinen Kapitalismus ohne Arbeitslose geben kann, lähmt leider oft auch den Kampf zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit.

Wieso die Arbeitszeit sinken muss, stand schon in dem Artikel von H. Markov. Ausführlicher ist das noch im Septemberheft von UTOPIAkreativ nachzulesen.

Eine Restarbeitslosenrate von beispielsweise 0,5 Prozent dürfte ausreichen um eine gewisse Flexibilität zu sichern und ungewollte Langzeitsarbeitslosigkeit fast zu verhindern. Natürlich kann man das Modell auch mit einer Restarbeitslosigkeit durchrechnen, aber welcher Wert wäre sinnvoll anzusetzen? 1 Prozent, 0,1 Prozent oder? Das verändert die notwendige Arbeitszeitverkürzung nur unwesentlich.

Andere Faktoren spielen da eine viel größere Rolle. Wir haben in unserem Modell eine konstante Produktivität angesetzt. Aber nach den Erfahrungen der Gewerkschaften steigt bei Verkürzung der Arbeitszeit auch die Produktivität. Über die Größe des Anstiegs ist in den Büchern zur Arbeitsmarktökonomik kaum etwas zu finden. Derartige Fragen wie auch zu Fragen zum Zusammenwirken von Lohn- und Preisbildung und der Nachfrage ist in der Arbeitsmarktökonomik kaum etwas zu finden und da besteht noch erheblicher Nachholebedarf. Manche gehen immer noch von dem in der DDR geltenden Grundsatz vom Primat der Politik über die Ökonomie aus. Die Theorien der Marktwirtschaftler gehen vom Primat der Ökonomie über die Politik aus - anders sind manche Ansätze nicht zu verstehen. Beides führt zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten, wie die DDR und Gesamtdeutschland beweisen. Also sind Ökonomie und Politik im richtigen Verhältnis zu behandeln. Dieses richtige Verhältnis muß noch gefunden werden.

Oft wird behauptet, in der globalen Welt könne eine Arbeitszeitverkürzung in einem Land nicht eingeführt werden. Das wird z.B. mit angeblich steigenden Lohn- oder Lohnstückkosten begründet. Das Gegenteil ist der Fall. Diese Kosten sinken nämlich. Natürlich hat die Senkung der Arbeitszeit auch globale Auswirkungen. In Deutschland sind es nur wenige, die hungern müssen (einige wollen es sogar, um abzunehmen). Also wird die Lebensmittelbranche z.B. kaum mehr absetzen können. Die zusätzliche Kaufkraft der bisher Arbeitslosen wird sich zum Teil auf hochwertige Konsumgüter konzentrieren, so daß Verschiebungen in den Branchen und Änderungen im In- und Export unvermeidlich sind. Aber auch das kann kein Argument gegen die Arbeitszeitverkürzung sein. Eventuell wird wegen steigender Importe der Exportüberschuss Deutschlands etwas abnehmen - aber der gesteigerte Import gibt auch Möglichkeiten, den Export zu steigern.

Jochen Ebel
14822 Borkheide

(ND 07.08.03) Der Teufelskreis muss durchbrochen werden
Zur Debatte um Vollbeschäftigung (begonnen am 18.7.):

Erfreulicherweise hat das ND einige Diskussionsbeiträge über die Reduzierung bzw. Beseitigung der Arbeitslosigkeit publiziert. Dabei ist die Diskussion allerdings etwas auf ein Nebengleis abgerutscht.(Wieviel Arbeitslosigkeit darf's denn bitte sein bei Vollbeschäftigung?) Die Aufmerksamkeit muss aber auf die viel wichtigere Aufgabe der Brechung der Tendenz einer galoppierenden Arbeitslosigkeit gerichtet werden. 80 Prozent der Bevölkerung wurden ja schon für überflüssig erklärt (Siehe das Papier der so genannten Zukunftskommission von Bayern und Sachsen!)

Was ist der Grund für die hohe Arbeitslosigkeit? Unternehmer in aller Welt und aller Couleur versuchen, die Kluft zwischen den Möglichkeiten der Wertschöpfung in. der materiellen Produktion und bei Dienstleistungen infolge der ständig wachsenden Produktivität und der stagnierenden kaufkräftigen Nachfrage zu schließen, indem sie die Wertschöpfung durch Entlassung von Arbeitskräften herunterfahren. Das ist vielleicht aus betriebswirtschaftlicher Sicht der bequemste Weg. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ergeben sich daraus aber existenzielle Probleme. Weniger Beschäftigte, d.h. mehr Arbeitslose, bedeuten weniger Steuereinnahmen, weniger Beiträge zu den Sozialversicherungen, aber höhere Ausgaben, weniger Kaufkraft, d.h. weniger Nachfrage. Die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage wird also auf diese Weise nur vergrößert mit dem Rattenschwanz von Folgeeffekten und weiterer Arbeitslosigkeit. Das ist der Teufelskreis, der durchbrochen werden muss.

Wie prekär die Lage inzwischen ist, soll noch durch einen Sachverhalt illustriert werden: Infolge der unzureichenden Einnahmesituation der öffentlichen Haushalte und wegen derer Überschuldung ist es nicht mehr möglich, die notwendigen Ausgaben zur Werterhaltung des öffentlichen Sachvermögens, der Straßen und Verkehrswege, der Schulen und Hochschulen, der Krankenhäuser, der Kultureinrichtungen, der Ver- und Entsorgungsanlagen usw. zu gewährleisten. Ständige Streichorgien im Gesundheits- und Bildungswesen und bei Kultureinrichtungen sind an der Tagesordnung. Unter diesen Umständen ist die Reproduktion der Gesellschaft nicht mehr gewährleistet. Die hohe Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland, die auf dem hohen Niveau der Infrastruktur und des Bildungswesens beruht, bröckelt. Ein Unfug, wenn unter diesen Umständen ständig gefordert wird, die Staatsquote zu senken. Auch dadurch wird die Nachfrage beschnitten, und der Teufelskreis rotiert weiter. Die Reduzierung der Arbeitslosigkeit wird damit zu einer Lebensfrage, der sich weder Unternehmer noch Politik entziehen können. Die bisher dazu unternommenen Schritte bedeuten nirgends eine prinzipielle Lösung, sondern bestenfalls statistische Kosmetik und gehen ebenfalls in der Regel auf Kosten der Nachfrage.

Es gibt eine Alternative zur Überwindung der Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage: Das ist die Arbeitszeitverkürzung. Auf diesen Weg wurde schon oft hingewiesen, und erst kürzlich hat die IG Metall in Ostdeutschland versucht; auf diesem Wege einen Schritt vorwärts zu kommen. Allerdings stand hier die Forderung nach mehr Gerechtigkeit im Vordergrund. Natürlich entsteht bei der Arbeitszeitverkürzung sofort die Frage nach dem Lohnausgleich. Und da beißen die Gewerkschaften bei den Unternehmern auf Granit, aber die Beschäftigten wollen in der Regel keine Lohneinbußen.

Nun hat Jochen Ebel gezeigt, wie man das machen kann, ohne Verlust an Nettolohn (also ohne Kaufkraftverlust), ohne Verluste für die Unternehmen, ohne Verluste für das Staatssäckel und insgesamt mit deutlichem Gewinn an Wirtschaftskraft. H. Markov hat dieses Modell bereits kurz skizziert {ND vom 18.7.). Das Wesentliche soll hier noch einmal erklärt werden: Vorausgesetzt wird bei dem Modell, dass alle Arbeitslosen eingestellt werden und die Nettolöhne aller Beschäftigten, einschließlich der neueingestellten, auf konstantem Niveau gehalten werden. Damit ergibt sich auf Grund des höheren Einkommens der ehemals Arbeitslosen ein bestimmter Zuwachs an Kaufkraft. Arbeiten die bisher Arbeitslosen in der bisher gültigen Arbeitszeit, ergibt sich ein Überschuss an Wertschöpfung, der durch den Kaufkraftzuwachs nicht aufgesaugt werden kann. Deshalb wird die allgemeine Arbeitszeit so weit herabgesetzt, bis der Zuwachs an Wertschöpfung gerade dem Zuwachs an Nachfrage entspricht. Die Unternehmen zahlen jetzt ein Arbeitsentgelt pro Beschäftigten, das entsprechend der Arbeitszeitverkürzung vermindert ist. Insgesamt wird die Summe der Arbeitsentgelte aber entsprechend größer, weil mehr Leute arbeiten.

Aber diese zusätzlichen Kosten kommen durch den gesteigerten Umsatz vollständig wieder herein. Wichtig ist, dass auch der Staat und seine Sozialversicherungen dabei gewinnen, weil mehr Leute Steuern und Beiträge zahlen (allerdings entsprechend der Arbeitszeit reduziert) und die unproduktiven Kosten der Arbeitslosigkeit entfallen. Auch der Staat gewinnt prozentual genauso viel, wie der Kaufkraftzuwachs ausmacht.

Insgesamt ergibt sich so ein bestimmtes Wirtschaftswachstum. Das lässt sich alles mathematisch ableiten und beweisen. Unter den heutigen Bedingungen von 10 Prozent Arbeitslosigkeit und einem durchschnittlichen Arbeitslosengeld von 63 Prozent vom letzten Nettolohn ergibt sich ein Wirtschaftswachstum von 3,84 Prozent, wobei die Arbeitszeit um 6,5 Prozent reduziert wird. Sogar die ewigen Forderungen der Unternehmerschaft nach Senkung der Lohnnebenkosten werden nach diesem Modell reichlich bedient und zwar genau um die 6,5 Prozent der Arbeitszeitverkürzung. Das können weder die so genannten Gesundheits- und Rentenreform noch sämtliche Rezepte der Hartz-Kommission leisten!

In die Richtung dieser Alternative sollte also die Diskussion gelenkt werden, um allmählich einen gesellschaftlichen Konsens darüber herbeizuführen. An der Reduzierung der Arbeitslosigkeit kommt man sowieso nicht vorbei. Man muss es nur richtig machen.

Mit der historischen Entwicklung, wäre man damit voll im Einklang, wie man an der Halbierung der Arbeitszeit im vergangenen Jahrhundert sehen kann. Eine ausführliche Beschreibung des Modells erscheint demnächst in UTOPIEkreativ oder kann bei den Autoren per Internet abgefragt werden: berthold.kuehn@gmx.de, und http://www.PDS-Borkheide.de/Azeit/Azeit.htm.

Prof. Berthold Kühn
01326 Dresden
AG Wirtschaftspolitik

(ND 14.08.03) Teufelskreis und teuflische Umstände
Zu »Der Teufelskreis muss durchbrochen werden« (ND vom 7.8.):

Ich kann Prof. Kühn nur zustimmen, dass der Teufelskreis durchbrochen werden muss. Nur habe ich meine Zweifel, dass der von ihm vorgeschlagene Weg diesen Durchbruch ermöglichen kann. Ist denn der Teufelskreis nicht selbst das Ergebnis der »Umstände«, auf die Prof. K. hinweist? Ist die Voraussetzung seines Modells, »dass alle Arbeitslosen eingestellt werden« nicht eine Illusion angesichts eben dieser »Umstände«? Mag sein, dass sein »Alternativmodell« sich mathematisch beweisen lässt. Nur, wenn dabei alle gewinnen, der Staat, seine Sozialversicherungen, die Unternehmerschaft, die Arbeitslosen - warum sind wir von diesem Modell so weit entfernt wie nie? Prof. K. beschwört mehrfach, dass sich weder Unternehmer noch Politik der Reduzierung von Arbeitslosigkeit entziehen k6nnen. Sie haben angesichts der teuflischen kapitalistischen Umstände, d.h. der Gier nach Profit nicht nur in Deutschland schon längst bewiesen, dass sie es doch können.

Andrej Reder
13156 Berlin

Die Würde des Menschen ist unantastbar Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung staatlicher Gewalt«, so im Artikel 1 des Grundgesetzes. Zunächst bleibt festzustellen, dass die Würde des Menschen millionenfach mit Füßen getreten wird und der bürgerliche Staat bzw. seine jeweilige Regierung Jahrzehnte ungestraft gegen diesen Verfassungsgrundsatz verstoßen. Im Juli 2003 weist die frisierte Statistik erneut 4,352 Millionen Menschen ohne Arbeit aus. Im Vergleich zum Monat Juli des Vorjahres sind weitere 305 000, deren Würde, durch eigene Erwerbsarbeit ihr Leben frei gestalten zu können, geraubt wurde, dazugekommen. Ich weiß wovon ich schreibe, musste ich doch selber nach meiner »Abwicklung« drei Jahre untätig sein, bevor ich in Rente gehen durfte.

Der Streit um die Vollbeschäftigung mag ja ehrenvoll und gut gemeint sein, er sollte aber auch illusionsfrei geführt werden. Vollbeschäftigung ist in einem auf Ausbeutung der Menschen beruhendes kapitalistisches Wirtschaftssystem nicht möglich. Schon Marx verwies auf die Abnahme der Nachfrage nach Arbeit, je mehr das Kapital sich an Haupt und Gliedern erneuert. So verlangt das Kapital für die Ungeheuerlichkeit des wechselnde Exploitationsbedürfnisses eine in Reserve gehaltene, disponible Arbeiterbevölkerung. Dies vollzieht sich bekannterweise seit Jahrzehnten, führte (und führt) zu verheerenden Wirtschaftskrisen und wurde nur durch die Weltkriege unterbrochen, wodurch Menschen und Produktionsmittel vernichtet wurden und durch »Wiederaufbau« eine künstliche Nachfrage geschaffen wurde.

In der Zeit des Übergangs von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und dem Computerzeitalter stellt sich die Frage: Wie groß darf die Reservearmee sein? Wie viele Arbeitslose können eine sich demokratisch nennende kapitalistische Gesellschaft und deren Regierung leisten? Natürlich kann und muss Politik ihren Beitrag leisten - so sie will und in der Lage da zu ist. Aber Vollbeschäftigung geht nur, wenn die Vorschläge von Herrn Gabriel in Gesetzesform gefasst und billige Zwangsdienste für alle, durchgesetzt werden, wie das die Faschisten zum Ausgang der Weltwirtschaftskrise mit dem Reichsarbeitsdienst und der totalen Militarisierung der Gesellschaft getan haben. Allein dass dieser Gedanke erneut, diesmal von einem sozialdemokratischen Politiker geäußert, aufgegriffen wurde, sollte zur Warnung gereichen.

Bleibt die Antwort auf die Frage ob der Teufelskreis in dieser kapitaldominierenden Gesellschaft, überhaupt zu durchbrechen ist. Die Gedanken, Alternativen und Modelle von Prof. Kühn sind ehrenwert und interessant. Nur mit wem soll der Konsens erreicht werden? Bereit in den 80er Jahren gab es in der alten BRD zwischen anderthalb bis zwei Millionen Arbeitslose. Inzwischen hat sich diese Zahl auf viereinhalb Millionen eingepegelt. Mit der weiteren »Erneuerung des Kapitals an Haupt und Gliedern« geht die Nachfrage nach (bezahlter) Arbeit weiter zurück, mit verheerenden Auswirkungen für die Menschen. Die Unternehmerverbände geben schon seit langen die Richtung vor, und die Politik, nun sogar in großer Koalition, handelt entsprechend. Kaum eine soziale Brutalität scheint tabu - Hartz, Rente, Krankenversicherung, Steuern, Agenda 2010-, um die Profite zu sichern. Selbst der Generationenvertrag wird in Frage gestellt, und den Menschen wird suggeriert, dass das fette Leben der Alten schuld an dieser wirtschaftlichen Misere sei.

Alle ernst zu nehmenden Gesellschaftswissenschaftler und Ökonomen wissen längst, dass so keine Arbeitsplätze entstehen, sondern eine weitere Umverteilung des Reichtums von unten nach oben stattfindet. Deshalb musste der Streik um die 35 Stundenwoche im Osten scheitern. Um Vollbeschäftigung in diesem unseren Land anzustreben, gilt es, ein breites Linksbündnis mit den Gewerkschaften und den Sozialverbänden zu organisieren und den Kampf, wenn erforderlich auf der Straße, um die radikale Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohnverzicht auf die Tagesordnung der »Agenda Sozial« zu setzen.

Waldemar Arndt
19260 Vellahn

(ND 14.08.03) Ein Prozess, der nicht zu stoppen ist

Selbst wenn für eine kurze Zeit mittels Arbeitszeitverkürzung Vollbeschäftigung erreicht würde, ginge der Konkurrenzkampf unvermindert weiter, was heißt: Der Trend, mit immer weniger Arbeitskräften immer mehr zu produzieren, setzt sich fort. Dieser Prozess verlangsamt sich zwar, ist aber nicht zu stoppen. Auch wenn vorübergehend Vollbeschäftigung zu erreichen wäre - die Kluft zwischen Arm und Reich wird sich weiter vergrößern. Dieser Tage stellte das Fernsehen einige Damen der besseren Gesellschaft vor, die um den Hals und an den Armen Schmuck trugen, von dem ein bescheidener Bürger zehn Jahre leben könnte. Niemand kann im Ernst glauben, so etwas habe mit Gerechtigkeit zu tun.

Wenn über die Lösung der Arbeitslosigkeit nachgedacht wird, ist es falsch, sich auf den Binnenmarkt zu beschränken. Wir erleben geradezu einen Boom von angeblichen und tatsächlichen Preissenkungen, Ausverkäufen, Lagerräumungen und so weiter. Auf Teufel komm raus soll ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zustande kommen. Aber es wird nur eine Gewichtszunahme bei immer mehr Menschen erreicht. Es entsteht eine neue Industrie mit beträchtlichen Umsätzen, die der Entfettung von Menschen.

Jeder Versuch, Arbeitslosigkeit durch Steigerung der Produktion zu erreichen, verstärkt nur die Marktprobleme. Versprechen, die Straßen verkehrsmäßig zu entlasten die Luft von Schadstoffen sauber zu halten, sind zu den Akten gelegt. Wann endlich kommen die Soziologen und Philosophen zu dem Schluss, dass wir nicht alleine auf der Welt sind, dass Millionen Menschen in der Welt hungern? Unsere Industrie hängt sich an die Globalisierung. Was wir aber dringend nötig haben, ist eine Globalisierung unserer sozialen Verantwortung. Warum schicken wir nicht hunderttausend Jugendliche in die unterentwickelten Länder, um in diesen eine neue Infrastruktur zu installieren? Geld? Ich denke, es ist genug da. Man muss nur den Mut haben, den Reichen einiges wegzunehmen. Freilich, im gegenwärtigen System ist dies nicht möglich. Reichtum und Macht sind Bruder.

Werner Müller-Claud
96528 Rauenstein

Kühns Modell setzt die Quadratur des Kreises voraus. Ich sehe andere Ansatzpunkte, die Arbeitslosigkeit zu überwinden: 1. Schluss mit allen Geldeinkommen, die nicht durch entsprechende Leistungen oder aus Gründen der Solidarität gerechtfertigt sind; 2. Festlegung gestaffelter Geldeinkommen nach dem Leistungsprinzip mit Obergrenzen und Mindesteinkommen unter Berücksichtigung eines Steueraufkommens, mit dem die gesellschaftlichen Reproduktionsbedingungen auf wachsendem Niveau und eine gesellschaftlich nützliche Tätigkeit aller Arbeitslosen mit gestaffelten Leistungsanforderungen und Entgelten finanziert werden können.

Kay Müller
23974 Boiensdorf

(ND 14.08.03) Eben deshalb gibt es Minijobs

Das Modell zum Thema Überwindung der Arbeitslosigkeit sollte zur Pflichtliteratur unserer Politpromis aller Couleur bestimmt werden. Keiner kommt an der Reduzierung der Arbeitslosigkeit vorbei. Das ist fraglos bei der Koalition wie bei der CDU/CSU auch als Hauptproblem erkannt worden. Genau deshalb tut man ja alles um abzulenken: Niedriglohn, Minijob, Verlängerung der Wochen- und Lebensarbeitszeit usw. All das löst aber das Grundproblem nicht. Bedenklicherweise wird parallel dazu der Krieg (»Präventivschlag für den Frieden«) salonfähig gemacht. In diesem Kontext wächst die Gefahr täglich, dass einer mit Charisma Mehrheiten für eine Lösung der Arbeitslosigkeit findet, die eigentlich keiner will - er muss ja nicht unbedingt wieder aus Österreich kommen! Wichtig erscheint mir, das Modell unter dem Aspekt der Globalisierung zu durchdenken. Dabei kommt man angesichts der Endlichkeit der natürlichen Ressourcen unweigerlich zu der Erkenntnis, dass Wirtschaftswachstum irgendwo schnell ökologische Grenzen hat. Die Überwindung des so genannten Nord-Süd-Gefälles steht wie die Beseitigung der Arbeitslosigkeit zur Lösung an. All das muss in die Köpfe, um Handlungsalternativen anbieten und Mehrheiten für deren Umsetzung formieren zu können.

Wolfgang Klotz
01705 Freital

(ND 21.08.03) Es geht um mehr als Rückzugsgefechte
Zur Debatte um die Vollbeschäftigung (begonnen am 18.7.):

Noch einmal ein Beitrag zur Debatte zur Vollbeschäftigung, da bei einigen offensichtlich die Meinung herrscht, dass man zwar gegen die Arbeitslosigkeit sein müsse, aber nichts ändern könne, weil Arbeitslosigkeit zum Kapitalismus gehört. Der Tenor einiger Zuschriften zur Vollbeschäftigung (»Geht nicht, weil Quadratur des Kreises«) und auch mancher Veranstaltungen ist: »es lassen sich nur Rückzugsgefechte führen.« Solange einige die Gefechte auf der Basis von Maschinenstürmerei nach der Devise »alles oder nichts« führen, ist eine Niederlage nach der anderen vorprogrammiert. Die grobschlächtigen Argumente der Regierung überzeugen die Mehrheit oft (noch!), lassen sie zumindest aber inaktiv werden.

Aber aus dem Scheitern der DDR, wo oft sachliche Diskussion durch Anweisungen ersetzt wurde (auch ein Mangel in einigen kapitalistischen Betrieben), sollte doch gelernt werden. Um miteinander zu reden, muß man jedoch auch einander verstehen, und das bedeutet in diesem Zusammenhang: Man muss die kapitalistische Wirtschaftstheorie zu verstehen. Und für die Arbeitslosigkeit ist es das Spezialgebiet Arbeitsmarktökonomik. Auf diesem Gebiet wird sogar von »offiziellen« Ökonomen zugegeben, daß große Defizite existieren. Die kapitalistische Wirtschaftstheorie hat kaum sichere Grundlagen, der größte Teil ist Empirie. Schon Ludwig Erhard sagte sinngemäß: Die kapitalistische Wirtschaft ist 50 Prozent Psychologie und 50 Prozent Wissenschaft. Zwar ist auch die Psychologie eine Wissenschaft, sie ist aber noch stark in Fluss ist und fließt noch selten in die Grundlagen der kapitalistische Wirtschaftstheorie ein.

In diesem Zusammenhang spielt der empirisch ermittelte Zusammenhang Inflationsrate und Arbeitslosenrate eine große Rolle. Wenn man die Geschichte der BRD-Wirtschaft betrachtet ist ein Senken der Inflationsrate mit einem Ansteigen der Arbeitslosenrate verbunden gewesen bzw. umgekehrt. In kapitalistischer Manier wurde die Wirtschaftspolitik so gefahren, dass die Inflationsrate sehr niedrig ist unter Inkaufnahme einer hohen Arbeitslosenrate. In dem einen Fall hat es sich um die heilige Kuh Wirtschaft gehandelt, in dem anderen Fall ja bloß um Menschen.

Trotzdem wollen fast alle weder Inflation noch Arbeitslose: der Regierung verursachen die Arbeitslosen Kosten, es besteht die Gefahr, dass die Kriminalität steigt und es zu Unruhen kommt, die zusätzlich Kosten für die Ausweitung des Sicherheitsapparates verursachen.

In der Arbeitsmarktökonomik ist der Zusammenhang zwischen Löhnen und Preisen und damit der realen Nachfrage noch stark unterbelichtet. Unsere Ableitung zu Löhnen und Nachfrage wirft etwas Licht in dieses Dunkel. Auch mit der Arbeitszeitverkürzung hört der kapitalistische Wettbewerb nicht auf, und die Produktivität wird weiter schneller wachsen als die Nachfrage. Also muss die Arbeitszeit bei steigendem Lebensstandard weiter sinken. Aber das steht bereits in unserer Ausarbeitung.

Jochen Ebel
14822 Borkheide

(ND 21.08.03) Milderung, aber nicht Beseitigung
Zur Debatte um die Vollbeschäftigung (begonnen am 18.7.):

Zunächst leuchtet die Losung »Radikale Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohnverzicht« ein. Die Einheit der Arbeitszeit (Arbeitsstunde) wird dadurch zwar deutlich teurer, aber generell steigt ja die Intensität der Arbeit ebenfalls an. Real machbar ist diese Art der Arbeitszeitverkürzung aber wohl doch nur bei den Beziehern niedriger Löhne und Gehälter, während bei sehr hohen Arbeitseinkommen doch Lohnverzicht sogar in vollem Umfang (wie im Kühn-Modell) und bei mittleren Löhnen in reduziertem Umfang (50 oder 25 Prozent) nötig und auch möglich erscheint. Übergangsregelungen sind bei solchen Einkommensverlusten bei Spitzen- und mittleren Arbeitseinkommen natürlich wesentlich, sie werden aber schon durch die sicherlich nach Jahren gestaffelte Arbeitszeitreduzierung erreicht. Die Arbeitslosigkeit lässt sich auf diesem Wege mildern, aber nicht beseitigen. Sie gehört zu diesem System. Denn die Unternehmer werden alles Mögliche und Unmögliche tun, um »sich nicht der Allmacht der Gewerkschaften auszuliefern«. Sie werden also weiterhin und verstärkt lebendige Arbeit durch Technik ablösen, Produktion in Niedriglohnländer verlagern, notfalls auch (wie jetzt bei den Greencards) eine bestimmte Einwanderung fördern und wohl mehr Überstunden anordnen. Deshalb müssen Überstunden-Einkommen viel höher - anstatt gar nicht, was volkswirtschaftlich totaler Unsinn ist - besteuert werden. Damit reduziert sich für Unternehmer wie Beschäftigte das Motiv, Überstunden zu leisten. Eine spezielle Überstundenbesteuerung bis zu 75 Prozent des spezifischen Überstunden-Einkommens wäre also zweckmäßig.

Aber auch das, sofern es überhaupt politisch durchsetzbar wäre, würde an der Systembedingtheit der Arbeitslosigkeit nichts und an ihrer aktuellen Höhe nur bedingt etwas ändern. Jedoch auch »nur« noch drei statt vier Millionen Arbeitslose wären ein gewisser »Fortschritt«. Mehr ist hier und heute nicht drin.

Dr. Volker Wirth
13055 Berlin

(ND 21.08.03) Nur leider gibt es da einen kleinen Haken

Ein guter Mensch, wer wär's nicht gerne - als Unternehmer stellte er Arbeitslose ein, bezahlte sie nach Tarif und, wenn jeder Kapitalist dies täte und die Arbeitslosigkeit dadurch gegen Null tendierte, hätten alle Bürger große Vorteile davon. Dies sei exakt mathematisch nachweisbar, meinen B. Kühn (ND vom 7.8.) und andere. Nur leider ist da ein kleiner Haken: Die Verhältnisse nämlich, die sind nicht so. Oder: Die Vollbeschäftigung ist keine Rechenaufgabe. Obwohl sich jedes einzelne Geschäft rechnen muss, ist die Gesamtentwicklung dieser Wirtschaftsordnung seit jeher unkalkulierbar.

Selbst wenn, unter günstigen Bedingungen, einzelne Unternehmen expandieren und zusätzliche Arbeitskräfte einstellen, begännen sofort die betriebsinternen Bestrebungen, Kosten zu sparen, d.h. die zunehmende Nachfrage mit geringeren Aufwand an Rohstoffen, Energie und nicht zuletzt an Arbeitskräften und deren Löhnen zu bedienen. Es ist die gnadenlose Konkurrenz, die sie dazu zwingt. Arbeitslosigkeit ist eine objektive Folge und zugleich Bedingung für die Existenz des Kapitals und seit fast 200 Jahren zu beobachten.

Nein, mit dem Appell an die Kapitalisten, sich der Logik eines Modells unterzuordnen, ist Arbeitslosigkeit nicht zu bekämpfen. Aber wie dann? Es gibt schon Wege. Nur gibt es deren sehr viele, einige davon sind sehr beschwerlich, wenig erkundet, und auch der Zeitgeist verteufelt bestimmte Erfolg versprechende Routen.

Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland wird z.B. die Arbeitslosigkeit verringern. Sie ist die abhängig veränderliche Größe, die gegenüber der unabhängig veränderlichen Beschäftigungsmenge mit reduziertem Nachwuchs reagiert. Diese Entwicklung ist exakt berechenbar. Das Kapital wird, wenn akuter Mangel an preiswert verfügbaren Arbeitskräften spürbar werden sollte, massive Forderungen an die Politik stellen, großzügige Einwanderungen zu ermöglichen, wie's gegenwärtig partiell schon geschieht.

Natürlich ist auch der erfolgreiche Kampf der Gewerkschaften für Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung ein sehr probater Weg zu mehr Beschäftigung. Aber ebenso wie infolge der Bevölkerungsentwicklung kann damit der Arbeitslosigkeit immer nur zeitweilig und quantitativ entgegengewirkt werden, dauerhafte Vollbeschäftigung ist so nicht zu erreichen. Dieses Ziel müsste auf anderen Wegen verfolgt werden.

Nachhaltiger auf die Beschäftigung wurde eine stärkere Besteuerung der Profite von erfolgreichen Unternehmen und der überschießenden Einkommen sowie des anschwellenden Vermögens von sehr reichen Bürgern wirken. Der Staat könnte diese Kaufkraft dann in arbeitsintensive Dienstleistungen zum Nutzen der gesamten Bevölkerung lenken. Dazu aber bräuchte es eine entsprechende Regierung, die eine derartige Politik betriebe. Die gegenwärtige macht das Gegenteil.

Um allen arbeitsfähigen und arbeitswilligen Bürgern zu ermöglichen, sich kreativ an der Schaffung sinnvollen gesellschaftlichen Reichtums zu beteiligen, genügt es nicht, nur eine andere Regierung zu wählen, dazu bedürfte es gar einer anderen Wirtschaftsweise. Auch dies ist seit langem erkannt und von großen Geistern dargelegt, wie jeder halbwegs gebildete Linke weiß. Die gesamte Gesellschaft müsste wie eine große Genossenschaft fungieren, in der sich die Produzenten auf den sinnvollen, ökologisch, qualitativ wachsenden Bedarf der Bürger orientieren, dabei sehr effektiv produktivitätssteigernd agieren, weil sie für ihre individuelle Selbstverwirklichung arbeiten. Welche Wege führen in diese Richtung? (Schauen wir mal ins Programm der PDS!)

Über solche und viele andere Wege zur Verringerung und Vermeidung von Arbeitslosigkeit ist intensiv nachzudenken, nicht nur über ein einziges allein erfolgverheißendes Konzept, und sei es auch von mathematischer Logik.

R. Kowalski
10179 Berlin

(ND 28.08.03) Nötig ist ein neues Arbeitszeit-Gesetz
Zur Debatte um Vollbeschäftigung (begonnen am 18. 7.):

Wie könnte der Teufelskreis aufgebrochen werden? Allgemeines Gerede über den Kapitalismus stößt die Bürger ab, zumal sie noch immer auf Wachstum setzen, das ihnen hohen Konsum zu versprechen scheint und vermeintlich auch Arbeitsplätze. Doch Wachstum ist ein Ringelspiel. Nach kurzer Zeit haben die Unternehmen weiter rationalisiert, sie können nicht anders, und bald ist die alte Arbeitslosigkeit wieder eingeholt. Alles gebt von vorne los.

Doch wie auch immer, Wachstum oder nicht - jetzt ist die Chance, die allgemeine Arbeitszeit zu senken und über eine (annähernd) gleiche Verteilung der Arbeitszeit zu sprechen. Das Thema ist nicht neu, schon Marx und Engels dachten, die gigantisch steigende Produktivität könne den Menschen Zeit für Bildung, Muße, die Familie und für öffentliche Angelegenheiten schaffen. Das wäre ein Gewinn für jeden Lohnabhängigen. In den letzten Monaten sind Vorstellungen entstanden, wie das gehen kann, noch ehe die gegenwärtige Marktwirtschaft implodiert ist. Vor dieser Implosion haben ja so viele Angst - Unternehmer wie Lohnabhängige. Insofern ist mit Bereitschaft aller zum Nachdenken zu rechnen. Und dafür gibt es reichlich Nahrung.

Selbst wer Angst hat, kürzer zu arbeiten - das sind heute viel weniger als vor zehn Jahren -, kann beruhigt sein: Ein wenig Denken zeigt, wie Überarbeit und Arbeitslosigkeit zu gegenseitiger Kompensation gebracht werden können. Am Ausgleich zweifeln nur Betriebswirtschafts-Dogmatiker, die unfähig sind, aus ihrem Mauseloch hinauszublicken Die gewaltigen Finanzmassen, mit denen man Arbeitslose wirtschaftlich sinnlos und menschlich demütigend vorm Verhungern bewahrt, können ausgenutzt werden: Brutto mag der kürzer Arbeitende ein bisschen weniger haben, netto kann er aber mit 30 Stunden Arbeitszeit genauso viel in die Tasche bekommen wie zuvor. Arbeitslose aber wären wieder in die Wertschöpfung einbezogen und hätten mehr Geld.

Allgemeine Arbeitszeitverkürzung würde das kapitalistische System erst mal nicht in Frage stellen. Doch sie bringt allen Vorteile. Der größte Vorteil würde eintreten für Familien, für deren Kinder und für die Bildung. Für Teilnahme am öffentlichen Leben könnten die entscheidenden Voraussetzungen entstehen. Papier-Demokratie könnte zu realer Demokratie werden, die Menschen würden selbstbewusster, kundiger und agiler. Das sind Potenzen gesellschaftlichen Wandels. Politiker in Parlamenten und Regierungen würden beim Wort genommen. Doch hier liegt der Hund begraben: Herumeiern würde aussichtslos. Das wollen die meisten Politiker nicht. Unbeobachtet und unkontrolliert fühlen sie sich mit ihren Diäten am sichersten. Also sind die Politiker herauszufordern.

Benötigt wird ein neues Arbeitszeit-Gesetz als Basis gerechter Verteilung der Arbeitszeit. Beides muss politisch durchgesetzt werden, gegen herrschende Politiker und mit Bürgern, denen Politik schwer fällt. Das System gesetzgeberischer Maßnahmen würde nicht komplizierter sein als Hartz- und Rürup-Pakete. Doch erstritten muss es sein, gegen eben jene Politiker, die den totalen Untertanen wollen. Daher der Ruf an alle Linken: »Fangt endlich an mit Politik!« Wollen die Linken es dabei bewenden lassen, allgemein über Kapitalismus zu räsonieren, oder finden sie die Kraft, mit Konzepten zur gerechten Verteilung der Arbeitszeit vor die gepeinigten Menschen zu treten?

Rainer Thiel
15859 Bugk

(ND 28.08.03) Keiner hat von Selbstlauf gesprochen

Dass die Arbeitslosigkeit zum kapitalistischen System gehört und das System aus Unternehmersicht mit Arbeitslosigkeit besser funktioniert als ohne diese, dass folglich ein wesentlicher und nachhaltiger Abbau von Arbeitslosigkeit prinzipiell nur gegen Unternehmerinteressen durchsetzbar ist, mindert überhaupt nicht den Wert des von Ebel und Kühn konstruierten mathematischen Modells.

Denn dort geht es um etwas anderes: Aus Unternehmer- und Politikerkreisen sowie deren »Sachverständigen« aus dem Bereich der Wissenschaft wird der Vorschlag, Arbeitslosigkeit durch eine Arbeitszeitverkürzung (in welcher Form auch immer) zu verringern, stereotyp mit dem Argument zurückgewiesen. dies erhöhe lediglich die Kosten (egal ob die Reduzierung der Arbeitszeit mit oder ohne Lohnausgleich erfolge), senke die Gewinne und treibe die Unternehmen in den Ruin. Deshalb ist es ein herausragendes Verdienst von Kühn /Ebel, dieses Argument mathematisch widerlegt und gezeigt zu haben, dass die Arbeitslosigkeit mit Hilfe einer Arbeitszeitverkürzung auch ohne Verlust an Nettolohn, Gewinnen und Staatseinnahmen eben doch prinzipiell möglich ist. Auch Ebel und Kühn wissen, dass Vollbeschäftigung keine Rechenaufgabe ist. Dass sich ihr Modell quasi im Selbstlauf realisiere oder mühelos durchsetzen ließe, dürften sie daher weder annehmen noch gehofft haben. Behauptet haben sie es erst recht nicht. Wenn in hochproduktiven Ökonomien die Wachstumskräfte unvermeidlich nachlassen, können aufeinander abgestimmte Variationen von Zinsen, Löhnen, Steuern und Staatsausgaben - so notwendig sie sein mögen - das Beschäftigungsproblem nicht mehr lösen.

Ein radikaler Wandel, die Neuverteilung der Arbeit, steht an. Das ist eine politische Aufgabe. Ihre Lösung beginnt mit dem Kampf um Mehrheiten. Und dieser Kampf ist mit Argumenten zu führen. Die Erkenntnis, dass die Minderung und Beseitigung von Arbeitslosigkeit über dauerhafte Arbeitszeitverkürzungen erreicht werden kann, ohne dass eine gesellschaftliche Gruppe oder Schicht davon Nachteile hätte, kann die Diskussion und die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden erleichtern und befruchten. Mehr nicht! Aber ist das wenig?

Klaus Müller
09385 Ursprung

(ND 12.09.03) Die verdammten Vorurteile

Es wäre »ein enormer Faktor der Wettbewerbsfähigkeit Standortes Deutschland«, wenn sich unsere Arbeitskollegen im Westen mit den niedrigeren Ostlöhnen begnügen und auch die längeren Ostarbeitszeiten in Kauf nehmen würden, meint Wolfgang Mey (ND vom 28.8.). Das wäre auch gut für das »Zusammenwachsen in Deutschland«. Als guter Europäer gehe ich noch einen Schritt weiter als Mey. Wenn nämlich das niedrigere Ostlohnniveau und die längeren Ostarbeitszeiten in ganz Deutschland erreicht sind, dann sollten wir im Interesse des Zusammenwachsens Europas daran gehen, unsere Löhne und Arbeitszeiten denen unserer polnischen, tschechischen und ukrainischen Arbeitskollegen anzupassen. Das wäre ein enormer Faktor für die Attraktivität des Standorts Deutschland. Und unsere bettelarmen Großkonzerne könnten sich die enormen Kosten für die Verlagerung der Produktion in. andere Billiglohnländer sparen. Also »Arbeitnehmer« aller Länder vereinigt euch in der Entschlossenheit zum widerstandslosen Lohnverzicht und der Bereitschaft dafür auch noch länger zu arbeiten.

Nie war das Kapital erfolgreicher mit seinem massenmedialen Einfluß als mit seiner heutigen, neoliberalen Ideologie. Das geht so weit, dass sogar linke Geisteseliten mathematische Modelle ausbrüten mit deren Hilfe eine Reduzierung bzw. Beseitigung der Arbeitslosigkeit« (ND vom 7. August) erreicht werden soll, obwohl ganz bestimmt keiner dieser Eliten bestreitet: Immer weniger Menschen produzieren immer mehr (Waren, Dienstleistungen), jedes Jahr, Jahr für Jahr und so fort. Dennoch versuchen sie die Quadratur des Kreises: Man müsse nur wissen »wie man das machen kann ohne Verlust an Nettolohn {also ohne Kaufkraftverlust), ohne Verlust für die Unternehmen, ohne Verluste für das Staatssäckel und insgesamt mit deutlichem Gewinn an Wirtschaftskraft« (ebenda). Ich bin sicher, Brecht hätte hier »Fragen eines lesenden Arbeiters«: Wessen Wirtschaftskraft ist die Wirtschaftskraft, wessen Standort ist der Standort?

Ende der 20er Jahre, sah der Chefredakteur des »Vorwärts«, Friedrich Stampfer, die Rolle der Sozialdemokratie in der eines Arztes am Krankenbett des Kapitals. Nun kommen dem Arzt noch linke Assistenzärzte zur Hilfe. - Es gab mal im ND eine Diskussion: Was ist links? Eine sehr wichtige Frage, wie man sieht. Ich bin gespannt auf Chemnitz.

Sebastian Brant
Wismar

Wie sehr Rainer Thiel mit seiner Bemerkung Recht hat, dass alle Angst vor einem schnellen Zusammenbruch der gesellschaftlichen Strukturen haben, zeigt z.B. die gerade erst erschienene 5. Auflage des Lehrbuches Arbeitsmarktökonomik aus dem Springer-Verlag. Gegenüber der vierten Auflage (1999) ist der Inhalt des Kapitels 10 nicht mehr »Die Arbeitsmarktsituation in Ostdeutschland« (8 Seiten), sondern »Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit« (38 Seiten). Lösungen finden sich dort nicht, wohl aber zahlreiche Bemerkungen, dass die Wissenschaft die Zusammenhänge der Arbeitslosigkeit nicht versteht. Experten, die den Kapitalismus für das beste Wirtschaftssystem halten, erkennen die Ursachen für eines der drängendsten Probleme offenbar nicht. Man kann aber etwas tun, damit auch im Kapitalismus die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Aber dieser Kampf wird durch Vorurteile behindert.

Obwohl Leserbriefschreiber Dr. Wirth sich auf das Modell Ebel/Kühn bezieht, unterscheidet er nicht zwischen Brutto- und Nettolohn. Diese Unterscheidung ist in diesem Modell ganz wesentlich. Anschließend folgert er dann ganz allgemein, dass die Arbeitsstunde dadurch deutlich teurer wird - obwohl auch das wesentlich am Modell ist, dass der Bruttolohn je Arbeitsstunde erhalten bleibt. Ein Unterscheiden zwischen Gering- und Hochverdienenden ist deshalb auch nicht notwendig. Dr. Wirths Vorschlag (Überstunden sehr hoch zu besteuern) ist doch mit dem Vorschlag der arbeitszeitabhängigen Steuern von Ebel sogar noch besser realisiert.

Schlußfolgerungen aus dem Modell Ebel/Kühn, die sicher unzutreffend sind zieht auch Kowalski. Er interpretiert kurzerhand, dass in dem Modell an die Unternehmer appelliert wird: »Ach seid doch so gut und stellt einen Arbeitslosen, den Ihr nicht braucht, mehr ein.«

Nein, die Rahmenbedingungen der Wirtschaft müssen so sein, dass der Unternehmer fast jede freie Arbeitskraft, die er findet, unbedingt einstellen will. Die Betonung liegt dabei auf fast. Damit hängt dann auch zusammen, dass keiner erwartet, dass Vollbeschäftigung heißt, dass der Arbeitsmarkt leer gefegt ist. »... dazu bedürfe es einer anderen Wirtschaftsweise ... wie jeder halbwegs gebildete Linke weiß« (Kowalski). Offensichtlich gehört doch etwas mehr Wissen dazu - oder?

Warum hat die Mehrheit der DDR-Bevölkerung den Kapitalismus gewählt? Natürlich haben sich zwar viele DDR-Bürger Illusionen über diese Gesellschaftsordnung gemacht. Aber das diese Illusionen vorhanden waren, war doch auch der DDR-Politik geschuldet, unter anderem auch deren Wirtschaftspolitik. Es kann also nicht schaden, doch etwas mehr zu wissen und dazu muß man zuhören - zwar kritisch, aber trotzdem zuhören.

Peter Meyer
14806 Belzig


MdEP: Mitglied des Europäischen Parlaments

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